Talkshow-Nachlese Die Leitkultur-Wurst der Union bei „Hart aber fair“
Köln · Für eine Gesprächsrunde über Konservatives hat die Talkshow volles Haus: Extra-Interview mit Markus Söder plus sechs Gäste im Studio, darunter Sahra Wagenknecht und Mario Voigt. So lief die Talkshow.
30.04.2024, 05:24 Uhr
Das Thema bei „Hart aber fair“ am Montagabend lautet „Rechtsruck oder Kurs der Mitte: Soll Deutschland konservativer werden?“.
Die Gäste:
- Mario Voigt (CDU), Landesvorsitzender in Thüringen
- Sahra Wagenknecht (BSW), Parteivorsitzende
- Philipp Türmer (SPD), Juso-Vorsitzender
- Khola Maryam Hübsch, Journalistin
- Enissa Amani, Künstlerin
- Robin Alexander, Journalist
- Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern
Darum sollte es gehen:
Um die Frage, ob Deutschland konservativer werden soll.
Darum ging es wirklich:
Um mögliche Unions-Kanzlerkandidaten und -Koalitionspartner, Muslime in Deutschland – und um die Wurst als Krone der deutschen Leitkultur.
Der Talkverlauf:
Am Anfang steht ein Interview mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), das Moderator Louis Klamroth eine Woche zuvor aufgezeichnet hat. Als Gesprächsgrundlage dient die Doku „Die Merz-Strategie - wohin steuert die CDU?“, die vor der Ausstrahlung der Talkshow im Fernsehen lief. Darin gibt CDU-Parteichef Friedrich Merz zu Protokoll, er schließe einen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur aus. Dem schließt sich Söder im Interview scheinbar an – um dann umgehend gegen seinen Rivalen Armin Laschet zu sticheln. Im Jahr 2021 sei es am Ehrgeiz einer Person gescheitert, sagt Söder, und: „Ich war es nicht“. Dann bekundet der CSU-Politiker eitel Sonnenschein mit dem CDU-Chef und führt dabei das gemeinsame Ziel „Regierungswechsel“ an. „So viel Einigkeit mit der CDU war seit 10, 15 Jahren nicht“.
Selbstredend macht Klamroth die Kanzlerkandidatur bei der Union zum Thema. „Einer von uns beiden muss es ja werden“, sagt Söder mit Blick auf Merz. Auf die Rückfrage, ob Hendrik Wüst in seinen Augen aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur gefallen sei, antwortet Söder nicht. So bald ergibt sich diese Frage seiner Ansicht nach ohnehin nicht. „Ich glaube nicht, dass die Ampel zerbricht“, sagt der CSU-Chef und nennt deren bis zur Wahl verbleibende Regierungszeit gleichzeitig „ein verlorenes Jahr“.
Auch in anderen Fragen zieht Söder Sticheleien und Emotionales den Sachargumenten vor. Die Freien Wähler etwa stellt er als praktisch dar, weil die CSU dann „nicht mit den Grünen oder anderen Parteien koalieren“ müsse. Mit Blick auf die AfD konstatiert Söder, durch das Auftreten des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) würde sich „das destruktivere Wählerpotenzial“ verändern. Und zum TV-Duell mit Mario Voigt (CDU) und Björn Höcke (AfD) sagt Söder: „Ich fand den Höcke echt schwach. Ein Männchen, das versucht, seine Thesen zu vertreten.“
Im Kontrast dazu schleicht Söder um eine Antwort auf die Frage herum, ob die CDU sich gegebenenfalls auch mit den Stimmen der AfD die Landesführung sichern solle oder ob eine Koalition mit BSW denkbar wäre. Schließlich schiebt er die Verantwortung auf andere: „Das muss dann letztlich die CDU und die CDU-Landesspitze vor Ort entscheiden.“
Zum Thema Islam scheint Söder der Taktik des Selbstwiderspruchs zu folgen. Dabei vertritt eine Person zwei völlig unvereinbare Positionen, um verschiedenen Zielgruppen zu gefallen. Diese Taktik funktioniert Experten zufolge, weil Zuhörer oft das, was ihrer Ansicht nicht entspricht, als „nicht ernst gemeint“ abtun. Auf Klamroths Frage sagt Söder zunächst: „Ich glaube, dass Muslime und ihr Glaube Bestandteil der deutschen Gesellschaft sind, das ist doch ganz klar.“ Direkt danach sagt er, dass der Islam nicht dazugehört in Deutschland. Das erklärt Söder am Beispiel der Weißwürste in Bayern, seiner Ansicht nach „fester Bestandteil des kulturellen Inventars, schon immer gewesen“, im Gegensatz zum Islam. Schließlich rühmt der CSU-Politiker den „Bavarian Dream of Life“ und fügt hinzu: „Wer den nicht will, der kann woanders leben. Und da sind wir dann sehr konsequent.“
Der Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation Jusos, Philipp Türmer, steigt in die Kanzlerkandidatenfrage bei der Union damit ein, dass er Merz derzeit in der Pole Position sehe. „Wenn ich CDU-Mitglied wäre, würde es mich ein bisschen beunruhigen, dass er, obwohl er ja schon 68 Jahre alt ist, genauso viel Regierungserfahrung hat wie ich zum Beispiel, nämlich überhaupt keine.“ Kurz wechselt Türmer zu inhaltlichen Argumenten: Merz stehe für einen rückwärtsgewandten Konservativismus mit einem marktradikalen Kurs und kombiniere eine Interessenspolitik für die Reichsten mit einem rechten Kulturkampf. Gleich darauf kommt der nächste vollmundige Spruch von Thürmer: „Ich bin überzeugt, wenn Friedrich Merz Kanzlerkandidat der Union wird, dann wird sogar Angela Merkel SPD wählen.“
Auf die Frage nach einer möglichen Koalition mit der CDU reagiert Sahra Wagenknecht, Vorsitzende des Bündnis Sahra Wagenknecht, mit Kritik an der derzeit regierenden Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Und: „Herr Merz ist die Inkarnation dessen, dass es sogar noch schlimmer gehen kann als die Ampel.“ Davon profitiere die AfD. Um nun das Etikett „links-konservativ“ zu erklären, das Wagenknecht ihrer neu gegründeten Partei verliehen hat, zieht Wagenknecht einen Exkurs über Begriffsgeschichte heran, der in erneuter Kritik an der CDU und einem in Deutschland fehlenden „Aufstiegsmotor“ mündet: Wer hart arbeite, habe kaum noch eine Chance, zu Wohlstand zu kommen.
Der Thüringer CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt hingegen meint: „Die CDU ist zurück“, und stellt das Grundsatzprogramm, an dem seine Partei seit 2022 arbeitet, als Zeichen einer neuen Ausrichtung dar. Daraufhin zeigt Moderator Klamroth ein kurzes Video, das den Umgang mit dem Islam im Entwurf dieses Grundsatzprogramms darstellt – und die Debatte um den Satz „Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland“ und dessen Neuformulierung.
„Mich erinnert das an ewiggestrige Debatten, die wir 20 Jahre lang geführt haben“, sagt die Journalistin Khola Maryam Hübsch und stellt die Frage: „Sind wir als Gesellschaft nicht schon weiter?“ Die CDU sei schon weiter gewesen, wie ein Blick in deren Grundsatzprogramm von 2007 zeige, so Hübsch. Darin sei etwa ein gemeinsamer Kampf mit den Muslimen gegen Extremismus verankert gewesen. „Das hatte etwas Verbindendes.“ Die Aussagen in den aktuellen Entwürfen deutet Hübsch hingegen als „Fischen am rechten Rand“. Sie kritisiert, dass die CDU der AfD nicht inhaltlich etwas entgegensetze, sondern deren Sprache aufgreife. „Wenn das die neue, innovative Idee der CDU sein soll, alte Begriffe als der Mottenkiste zu holen, dann kann sie, glaube ich, nicht Volkspartei werden, denn das ist ausgrenzend“, sagt die Journalistin. Ihrer Ansicht nach versäumt es die CDU, die Kräfte innerhalb des Islams zu stärken, die sich für Toleranz und Frieden einsetzen.
Voigt sagt dazu, die CDU mache solche Themen zu ihren Themen, weil sich die Bevölkerung dafür interessiere, und nennt als Beispiel eine Demonstration mit rund 1000 Menschen in Hamburg, bei der Plakate mit Aufschriften wie „Kalifat ist die Lösung“ zu sehen waren. Daraufhin pocht die Journalistin Hübsch um Einordnung und Differenzierung: Von den sechs Prozent Muslimen in Deutschland seien 0,5 Prozent als „Gefährder“ bekannt. Zudem seien Begriffe wie „Kalifat“ und „Scharia“ politische Kampfbegriffe geworden, die in der islamischen Welt zunächst Normen bezeichneten. Und: „Die Scharia sagt: Muslime müssen sich an die Gesetze des Landes, in dem sie leben, halten.“ Nur Extremisten würden dies anders darstellen.
Extremisten sollen aber jene Demonstration in Hamburg organisiert haben, wirft Moderator Klamroth ein. Nach Ansicht des Journalisten Robin Alexander war dabei ein „Herrschaftsanspruch“ zu beobachten. „Das ist wie Pegida in Dresden, nur auf islamisch.“ Auch Hübsch sieht eine Parallele zwischen dem Rechtspopulismus und den Forderungen religiöser Extremisten. Die Künstlerin Enissa Amani pocht auf eine Einordnung: „Die ganz, ganz große Masse in Deutschland möchte sich davon scharf distanzieren“.
Alexander zerlegt derweil Wagenknechts Empörung über das Ergebnis einer Umfrage unter 300 Jugendlichen, von denen 200 gesagt haben sollen, der Koran sei ihnen näher als die Gesetze. „Ich kenne auch Katholiken, die damit ein Problem hätten“, sagt der Journalist. „Auch in unserer Bibel steht, man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen. Das ist dünnes Eis.“ Dann stellt Alexander die Frage, warum ausgerechnet die CDU dieses Thema bearbeite. Der Ampel wirft er indes vor, keinen Plan zu haben.
Den Begriff „Leitkultur“ soll der CDU-Politiker Voigt erklären. Er spricht von Werten und Prinzipien und beschreibt Leitkultur als „etwas Einladendes, aber auch etwas Forderndes“. Ähnlich vage kritisiert er, bestimmte Themen wären zu lange nicht diskutiert worden – und Amani grätscht hinein: „Zum Beispiel Rechtsextremismus?“ Sie zitiert Statistiken aus den Jahren 2022 und 2023, denen zufolge „alle 28 Minuten eine rechte Straftat“ begangen wurde. Würden solche Zahlen auch für die Extremisten der Demo von Hamburg gelten, würde man ja ebenfalls fordern, dass etwas passiert – zu Recht, so die Künstlerin und Aktivistin.
Amani stellt anhand eines Beispiels die Unvoreingenommenheit in der Leitkulturdebatte infrage: „Keinen Menschen stört es, dass die Kids nicht mehr „Verzeihen Sie“sagen können, die sagen ‚sorry‘. Aber in dem Moment, wo sie ein türkisches oder arabisches Wort verwenden, heißt es: Unsere Kultur ist gefährdet.“
Der Journalist Alexander bekommt den Job, den Begriff einzuordnen. „Leitkultur war der Gegenbegriff zur Parallelgesellschaft“, sagt er über die Anfangszeit der Debatte vor rund zwanzig Jahren, als „Leitkultur“ allerdings europäisch und nicht deutsch gefasst gewesen sei. Alexander sieht Leitkultur als „eine Art Hausordnung der Gesellschaft, die mehr ist als das, was in den Gesetzen steht“. Deshalb verwehrt er sich gegen die Vorstellung, dies sei eine „AfD-mäßige“ Idee.
Voigt findet es „nicht zu viel verlangt“, ein Gedicht oder den Text der Nationalhymne zu kennen. Doch das scheint Klamroth zu pauschal: Er stolpert über die Forderung aus dem CDU-Programm, sich mit Bräuchen auszukennen. Daraufhin fällt Voigt die Thüringer Bratwurst ein – ganz wie Söder seine Weißwurst. Als „gelebte Integration in Thüringen“ bezeichnet er einen Türken, der einen Döner zum Aufbacken erfunden hat: „Das ist ein Brauchtum, das sich erweitert“, sagt der CDU-Politiker.
Wagenknecht macht die Leitkulturfrage zur Spalttablette: Ihrer Ansicht nach sehen Menschen, die Fahrrad fahren, in der Großstadt wohnen und sich klimafreundlich ernähren, auf Menschen mit anderer Lebensweise herab. Klamroth versteht nicht, was das mit Leitkultur zu tun hat, und Wagenknecht bleibt eine erhellende Antwort schuldig. Stattdessen kritisiert sie Kommerzialisierung.
Hübsch schafft es dennoch, einen gemeinsamen Nenner zu finden, den man aus Wagenknechts Äußerungen ableiten könne: „Man muss von einer Leitkultur überzeugen, man kann sie niemandem verordnen.“ Dazu müsse sie glaubhaft vorgelebt werden. Das sei anders als beim Grundgesetz, denn dies sei ja keine Gesinnungsordnung, sondern eine Rechtsordnung.
Zum Schluss geht es noch um die Frage, ob die CDU an ihrer Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der AfD festhalten wird. „Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben“, sagt der Thüringer CDU-Chef Voigt. Daraufhin zieht der SPD-Politiker Thürmer eine Liste aus der Tasche, auf der Beispiele stünden, wo die CDU im Landtag mit der AfD kooperiert habe. Als Reaktion wirft Voigt umgekehrt der SPD vor, in Thüringen auf kommunaler Ebene mit der AfD zusammengearbeitet zu haben. Erwartungsgemäß folgt ein verbales Scharmützel.
Wagenknecht weigert sich indes, die Frage zu beantworten, ob ihre Partei Voigt zum Ministerpräsidenten wählen würde, um den rechtsextremen AfD-Politiker Höcke zu verhindern. Schließlich suggeriert sie programmatische Bedingungen und sagt: „Wir werden kein Mehrheitsbeschaffer von Herrn Voigt um jeden Preis sein.“ Umgekehrt sagt Voigt nichts zu der Möglichkeit, eine Koalition mit BSW einzugehen. Seine Begründung: Es gebe noch kein Parteiprogramm des BSW in Thüringen.
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